Schachbundesliga – Michael´s Vorschau

Nun ist es soweit, die DJK Aufwärts Aachen 1920 e.V. steigt in die 1. Schachbundesliga auf. Grund genug mal eine gewagte Vorschau auf die kommende Saison 2016/17 zu werfen.

„Etwas überraschend errang die Solinger SG in der letzten Saison den Titel, wobei man sich den Luxus leisten konnten, auf das Spitzenbrett (Anish Giri, aktuell Nr. 9 der Welt) komplett zu verzichten. Überhaupt kamen nur zwölf Spieler zum Einsatz, offenbar sind ‚mannschaftliche Geschlossenheit‘ nicht nur im Fußball von Wert, auch wenn jeder an seinem Brett spielt. In der kommenden Saison bleibt der Kader weitgehend unverändert (es gab ja auch keinen Bedarf für Veränderungen) es kommt nur ein bosnischer GM namens Borki Predojevic hinzu. Topspieler haben einen vollen Terminplan, aber dennoch soll Giri 16/17 mehr als ‚0 aus 0‘ holen, so zumindest heißt es aus der Klingenstadt. Ich traue Solingen den Sprung aufs Treppchen zu, aber nicht die Titelverteidigung.

Zweiter der Vorsaison war der Seriensieger Baden-Oos, deren ‚Triple-A-Aufstellung‘ (Anand, Aronian, Adams) nur sieben Remisen und eine Null zusammenbrachte. Offenbar sitzt der Groll über das Desaster des zweiten Platzes so tief, dass man mit MVL (diese Bezeichnung hat sich durchgesetzt, da Maxime Vachier-Lagrave einfach zu lang ist) den Sieger von Dortmund und mit Fabiano Caruana den leichtesten erwachsenen Großmeister der Welt verpflichtet hat. Damit stehen in der DWZ-Liste von Real Baden (oder so ähnlich) fünf der Top 10 der Welt, wobei Carlsen es nicht in den Kader geschafft hat.. Außerdem war es vorher Usus, dass der Kern der deutschen Nationalmannschaft bei Baden spielte, aber Naiditsch hat die Föderation gewechselt, Nisipeanu den Verein und Gustafsson gehört nicht zum Kader der Olympiade 2016. Alles andere als der Titel wäre für mich eine Überraschung und für den Strippenzieher Noppes wohl eine Horrorvorstellung.

Werder Bremen ist im Schach erfolgreicher als im Fußball; während beim Rasensport die Klasse erst am letzten Spieltag gesichert werden konnte, wurde die Schachabteilung Dritter und vor allem Königsmacher durch ein 5:3 gegen Baden-Oos. Die Konsequenz der Verantwortlichen ist nachvollziehbar: Man geht mit (bis auf ein Jugendbrett) identischem Kader und nur minimalen Veränderungen in der Rangfolge in die neue Saison. (Leicht off-topic: Nicht im Kader ist daher unverändert Till Schelz-Brandenburg (DWZ 1674), der frühere Präsident – dessen Ego allerdings problemlos für 2674 reicht. Er ist einer der Mitinitiatoren der Gründung der Bundesliga e.V. und hat in der aktuellen Ausgabe von „Schach“ u.a. die Reduzierung auf 12 Mannschaften propagiert; leider kann ich den inhaltlich flachen Artikel, der aber im Gegensatz zu früheren Äußerungen von TSB immerhin frei von persönlichen Angriffen gegen wen auch immer ist, aus copyright-Gründen hier nicht publizieren.) Man muss Bremen mit dem immer stärker werdenden Matthias Blübaum zutrauen, Platz 3 zu verteidigen.

Schwäbisch Hall dürften Außenstehende am ehesten mit einer Bausparkasse in Verbindung bringen (oder mit einer Hausschweinrasse). Dabei gibt es dort mehr als nachrangige Immobilien-Finanzierungen und Schweinefilet, nämlich einen Schachverein, der immerhin in der Vorsaison Rang 4 belegt hat. Während das Bausparwesen eher wenig Exotik und Internationalität ausstrahlt, ist der Kader der Haller (Hällischen? Hallenser? Wer weiß es genau?) bunt gewürfelt und wird von dem Chinesen Li Chao (aktuelle Nr. 15 der Welt) angeführt. Es stehen aber auch Russen, Israelis, Franzosen, Tschechen im Kader. Auch zwei Deutsche ungefähr meines Alters sind in den hinteren Rangplätzen zu finden, der sächselnde Matthias Womacka und der (vermutlich) schwäbelnde Frank Zeller. Eine Prognose für Schwäbisch Hall ist nicht so leicht, in der Vorsaison kamen alle sechzehn Spieler zum Einsatz, so dass die Aufstellungen stark unterschiedlich waren. Sagen wir Platz 4 bis 6 je nachdem, wie tatsächlich aufgestellt wird.

Die Schachfreunde Berlin dürften Rekordhalter im Nichtabstieg trotz Abstiegsplatz sein: Sie wurden 13., 12., 12./13., 10., 13., 12., 13., blieben aber jedes Mal drin, bei Platz 13 aufgrund Rückzugs mindestens einer Mannschaft. 2015/16 wurden sie Fünfter – wie konnte das passieren? Prädestiniert für die Beantwortung der Frage nach dem „Warum?“ dürfte der Spieler an Brett 8 sein. Jan-Michael Sprenger kenne ich noch aus seinen Zeiten in Kölner Schachkreisen, inzwischen ist er an der Uni Tilburg Professor für Philosophie und war dort mal in einem Verein mit dem sehr schönen Namen „Stukkenjagers“, was wohl nicht übersetzt werden muss. Ich weiß nicht, wie seine Antwort auf die Frage lauten würde; nüchtern muss man feststellen, dass Berlin mit Kacper Priorun den mit 11,5/13 erfolgreichsten Spieler der abgelaufenen Saison stellte, der in der kommenden Saison etwas höher gemeldet wird. International bekannter als Sprenger oder Priorun dürfte aber die Berliner Neuverpflichtung an 1 sein, das ist Veselin Topalov (Nr. 12 der Welt). Auch bei ihm stellt sich die Frage, wie oft er spielen wird – mehr als zwei Wochenenden halt ich für ausgeschlossen. Dennoch dürfte es Berlin auch ohne den ZEITonline-Redakteur Ilja Schneider (ist zum Neu-Zweitligisten Lister Turm gewechselt) schaffen, wieder in der oberen Tabellenhälfte zu landen.

Hamburg ist die heimliche Hauptstadt des deutschen Schachs – ChessBase, Chess24 und der HSK sind dort beheimatet, außerdem der Spielleiter 1.BL. Ebenfalls dort zu verorten ist eine weitere „graue Eminenz“, nämlich Christian Zickelbein, der beim schon erwähnten Artikel ebenfalls seinen Wortbeitrag abgeliefert hat und sich immerhin kritisch damit auseinandersetzte, dass er früher anderer Ansicht war. In der Vorsaison erreichte das Team des HSK Platz 6,  in diese Region sind sie auch nächste Saison zu erwarten. Der Endspielspezialist Dr. Müller spielte 2015/16 nur eine Partie und jetzt gar nicht mehr, aber dafür kommt Niclas Huschenbeth wieder (war glaube ich in den USA) und der Schwede Nils Grandelius, bekannt für kompromissloses Angriffsschach und seine Dreadlocks, kam von Emsdetten nach Hamburg.

Hinter Hamburg kam Mülheim-Nord ins Ziel. Der Verlust von MVL fällt nicht ins Gewicht, da er ebenfalls 0 aus 0 zu Buche stehen hatte, somit ist David Navara nunmehr Spitzenbrett.  Sonst hat sich nicht viel verändert, Fridman (deutsche Nummer 5) oder Hausrath spielen seit Jahren dort; neu hingegen ist Zelbel aus der Dortmunder Konkursmasse. Mülheim sollte wieder ein „Kachi-Koshi“ (ein Begriff aus dem Sumo, mehr Siege als Niederlagen) und einen Platz 8 oder kleiner erreichen.

Achter wurde Turm Emsdetten – tritt aber nicht mehr an, weil die Fusion mit Rochade Emsdetten scheiterte – wohl eher an persönlichen Befindlichkeiten als an sachlichen Problemen. Wer davon profitierte, sieht man weiter unten.

Auf Platz 9 schloss USV TU Dresden ab. Offenbar scheint man damit bei Elb-Florenz nicht zufrieden gewesen zu sein und hat beide deutschen Nummer Einsen verpflichtet, nämlich Liviu-Dieter Nisipeanu und Elisabeth Pähtz. (Nisipeanu hat mehr ELO und längere Haare als Pähtz, das kann nicht jeder von sich behaupten.) Hinzu kommen einige Polen sowie der Chefredakteur von „Schach“ Tischbierek und der Sportdirektor des DSB Bönsch (Weiß jemand, was die Aufgaben des Sportdirektors sind? Ich weiß es nicht.). Dresden stellte in der letzten Saison mit Uhlmann den ältesten aktiven Spieler, aber der ist nicht mehr im Kader. Aber auch so schafft Dresden wohl das höchste Durchschnittsalter der Liga, wobei die Herren Tischbierek, Bönsch und Gauglitz mit zwei weiteren Spieler und Heimvorteil in Radebeul Mannschafts-Weltmeister Ü50 wurden. Dresden sollte im Mittelfeld einlaufen.

Hockenheim ist wohl eher für sein Rennstrecke bekannt, der örtliche Schachverein wurde punkt- und torgleich mit Dresden 10. Am Spitzenbrett finden wir unverändert den Ex-Weltmeister Karpov, der aber ebenfalls in der letzten Saison nicht zum Einsatz kam. Mit Vitiugov und Jobava sind zwei prominente Neuzugänge auf der Liste; mal abwarten, wie oft die spielen werden. Die Formkurve von Buhmann zeigt nach oben, auch wenn er in Dortmund gegen die absoluten Topspieler etwas wacklig agierte und zu wenig holte (gemessen an den Stellungen). Mit Dennis Wagner, David Baramidze und Arik Braun finden wir in den unteren Rängen  drei Spieler von knapp 2600, das ist recht solide. Vordere Tabellenhälfte ist realistisch.

Trier wurde 11., auch hier finden wir einen interessanten Neuzugang namens Vassily Ivanchuk. Ich rechne aber mit nicht vielen Einsätzen des Idealtypus des Schach-Nerds. Da dürfte der alte Bekannte aus Remagener Zeiten Alexander Goloshapov (Schreibweise ohne Gewähr) schon häufiger zum Einsatz kommen, aber dennoch dürfte Trier der Abstiegszone näher kommen als dem Treppchen. Platz 11 oder 12 wird es wohl am Ende sein.

Hansa Dortmund schaffte mit Platz 12 sportlich den Klassenerhalt, aber die Kasse gab nichts mehr her – man zog zurück. Der 13. Erfurt wollte aber auch nicht mehr antreten, somit kommen wir direkt zu Platz 14.

Das war Griesheim, zu deren Mannschaft ich wenig sagen kann. Eine gewisse Prominenz hat sicher Marcin Tazbir, der an 5 gemeldet ist. GM mit einem Rating von 2524 ist heute „nichts Besonderes“ mehr, aber der Pole ist sehr stark sehbehindert und amtierender Europameister der IBCA. Ich habe nur eine vage Vorstellung davon, wie mühsam es dann sein muss, sich auf die Partien vorzubereiten etc. Aber sehend oder nicht, Griesheim wird unterm Strich landen.

Bayern München wurde 15. Damit musste drei vorher platzierte Mannschaften auf ihr Startrecht verzichten, um dem Klub mit dem nun wirklich bekannten Namen den Platz zu erhalten – und genau so kam es. Die Mannen um Klaus Bischoff (ebenfalls U-50-WM, sh. „Dresden) und Michael Bezold werden wieder große Probleme bekommen, sportlich die Klasse zu halten.

Da der 16. Norderstedt tatsächlich absteigen musste, kommen wir nun zu den Aufsteigern.

Aus der 2.BL Nord kommt der König Tegel mal wieder auf Stippvisite. Hierfür hat sich der Begriff „Fahrstuhlmannschaft“ eingebürgert, ich finde „Pendel“ besser. Wie dem auch sei: Die Blitzspezialisten Stern, Rabiega, Muse 1 und 2 werden nach 15 Runden unterm Strich stehen – ich fürchte, mit der bekannten Laterne in der Hand.

Aus dem Osten kommt ein anderer Münchner Verein hinzu. Nein, nein, nicht 1860, der hat mit Fußball nichts zu tun und heißt MSA Zugzwang. Immerhin finden wir zwei ehemalige Nationalspieler auf der Liste, nämlich den NLP-Practitioner Stefan Kindermann und den Verwaltungsbeamten Gerald Hertneck. Verstärkt hat man sich kaum, von daher stehen die Zeichen auch hier auf Abstieg.

Sieger der Süd-Staffel wurde Speyer-Schwegenheim. Dieser Klub geht ebenfalls mit kaum veränderter Aufstellung an den Start, wobei der bekannteste Spieler Sebastian Feller sein dürfte – vor allem bekannt aber wegen seiner „E-Doping-Sperre“. Auch ohne Unterstützung von außen sollte der Klassenerhalt zu schaffen sein, Platz 11 oder 12 ist meine Prognose, so dass die Pfälzer Vereine auch in der Tabelle benachbart bleiben.

Aus dem Westen ist DJK Aufwärts in die erste Liga gekommen. Unsere Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern und der bekannt gute Teamgeist sollten uns davor bewahren, ins Gedränge zu geraten. Ziel ist somit der in Trainerkreisen häufiger zitierte einstellige Tabellenplatz. Mitte Oktober ist die erste Positionsbestimmung gegen Schwäbisch Hall und Dresden.“

Michael Buscher

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